Der Wecker klingelt und eine junge Frau, im Film Martha genannt, kriecht müde aus den Federn. Was nun folgt, kennt jeder: der verschlafene Gang ins Badezimmer, Zähneputzen, Kaffee kochen, erste E-Mails beantworten – und dann der Weg zur Arbeit. Wer das schon einmal verkatert bewerkstelligen musste, weiß, dass der Kopf bei dieser alltäglichen Routine irgendwie auf Autopilot schaltet, derweil das bewusste Ich kaum mitkommt und träge aus der zweiten Reihe zuschaut. In ihrer kurzweiligen Wissenschaftsdokumentation zeigen Francesca D’Amicis, Petra Höfer und Freddie Röckenhaus, dass diese ominöse ‘Automatik’ nicht nur gelegentlich die Kontrolle übernimmt: Wie ein guter Geist geleitet sie uns kontinuierlich durch die Niederungen des Alltags. Nur gelegentlich, wenn wir den Überblick verlieren, greift das bewusste Ich korrigierend ein wie ein Fahrlehrer, der seinen Schüler davor bewahrt, eine Reihe Mülltonnen abzurasieren.

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(2) Was genau geschieht im menschlichen Gehirn, wenn diese bewährten Automatismen greifen? Dieser Frage versuchen namhafte Neurowissenschaftler aus der ganzen Welt auf den Grund zu gehen. Wie in einer Wissenschaftsdokumentation üblich, zeigt der Film ihre sprechenden Köpfe, die oftmals sehr spezielle Thesen vortragen. Witzig an diesem Zweiteiler ist jedoch, dass diese Thesen nicht allein durch die Dokumentation wissenschaftlicher Versuche im Stil der ‘amüsanten Physik’ illustriert werden, sondern dass die Filmautoren zudem mit aufwändigen Animationen, die das Eigenleben der Neuronen zeigen, einen (freilich fiktiven) Blick in das Gehirn der jungen Martha zu werfen versuchen, während sie auf dem Weg zur Arbeit einem jungen Mann, Jake genannt, begegnet: Ist es die große Liebe oder nur ein schnell wieder abkühlender Flirt? Auf wirklich spannende und humorvolle Weise geben D’Amicis, Höfer und Röckenhaus wissenschaftliche – aber niemals bierernste – Antworten auf diese Frage.

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(3) Während Martha und Jake sich zum ersten gemeinsamen Essen im Restaurant treffen, werden die neurophysiologischen Prozesse in ihren Gehirnen einer ‘wissenschaftlichen Supervision’ unterzogen: Man fühlt sich dabei schon ein wenig an den berühmten Sketch des Komikers Otto Waalkes erinnert: "Ohr an Großhirn, Ohr an Großhirn: Habe soeben das Wort ‘Saufkopf’ entgegennehmen müssen. Großhirn an Ohr: Von wem? Ohr an Großhirn: Ich kann nicht sehen! Mal Auge fragen."

Mit ihrem bei Arte erstausgestrahlten Beitrag "Das automatische Gehirn" (Produktion: Colourfield) gelingt den Autoren eine Vermittlung komplexer wissenschaftlicher Inhalte im typisch angelsächsischen Stil. Ihr Zweiteiler wirft im Sinne der hard science einen streng positivistischen Blick auf Bereiche, die man traditionsgemäß den ‘weichen’ Wissenschaften wie Psychologie oder Psychoanalyse zuordnen würde. Dennoch werden die Thesen nicht seelenlos abstrakt, sondern auf eine recht sinnliche Weise vermittelt. Das gilt insbesondere für die Kernthese, wonach immer nur ein vergleichsweise winziger Ausschnitt der uns umgebenden Wirklichkeit in den Fokus des Bewusstseins rückt.

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(4) Um diesen Prozess anschaulich zu machen, schaut der Film dem bekannten Magier Apollo Robbins bei spektakulären Zaubertricks über die Schulter. Dessen Tricks, so die wissenschaftliche Botschaft, funktionieren nur, weil die Aufmerksamkeit des düpierten Betrachters irgendwo an der Peripherie herumdümpelt – derweil der Zauberkünstler seinem ‘Opfer’ unbemerkt die Uhr vom Handgelenk entwendet. Und genau diese Zerstreutheit, mit welcher auch wir uns permanent ablenken lassen, muss das Gehirn gewissermaßen zum Prinzip erheben – weil es ansonsten von Informationen so sehr überflutet würde, dass keine Entscheidung mehr möglich wäre. Diesen Prozess hat der Schreiber dieser Zeiten auch beim Verfassen der Fernsehkritik an sich selbst beobachten können. Dieser selbstreflektive Blick zurück auf den Betrachter wird angeregt, weil der Film aktuelle Thesen der Neurowissenschaft gekonnt aufbereitet und mit einem gewissen Mehrwert vermittelt.

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(5) Der zweite Teil vertieft die Probleme auf anregende Weise: Jake und Martha, witzig gespielt von Johannes Moss und Henriette Fee Grützner, haben sich über beide Ohren ineinander verliebt. Doch das ist für beide nicht nur angenehm, denn neurowissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge "ist Verliebtsein hauptsächlich Stress". Und was das bedeutet, zeigt der Film uns in einem augenzwinkernd improvisierten Streitgespräch. Neben diesen erfrischenden, sinnvoll eingegliederten Spielszenen und interessantem Bildmaterial gibt es noch eine dritte Ebene: Durch die Lösung witziger Psychotests wird der Zuschauer selbst zum Probanden – und damit auf schelmische Weise in den Film integriert. Selten wurde Wissenschaft auf solch charmante Art vermittelt.

Manfred Riepe/FK